Ein Oelsnitzer Schulgeldkassierer vor 200 Jahren

von Roland Schmidt

 
Was musste der Oelsnitzer Webermeister Erdmann Friedrich Müller an Beschimpfungen und Beleidigungen erfahren haben, ehe er sich entschloss, um seine Entbindung aus dem Ehrenamt zu bitten. Am 13. Januar 1806 richtete er an die Oelsnitzer Stadtväter das Gesuch, ihn als Schulgeldeinnehmer abzuberufen. In seinem Schreiben verwies er auf die Tatsache, dass viele Eltern die festgesetzten neun Pfennige wöchentliches Schulgeld für ihre Kinder nicht aufbringen konnten, so dass er oft vergebens an den Wohnungen läuten musste. Hatte er sich darüber noch mit seinem Diensteifer hinwegsetzen können, so trafen ihn die verbalen Reaktionen der Eltern viel härter. Wörtlich schrieb er in seinem Entlassungsgesuch: "Was aber bei diesem allen das Schlimmste: die Unzufriedenheit der meisten mit dieser Einrichtung, die unverantwortlichsten Ausdrücke sowohl gegen die geistliche als weltliche Obrigkeit, und die gröbste Behandlung gegen mich, ja was noch mehr, statt Bezahlung sich der bittersten, gröbsten und der Betrügerei beschuldigenden Vorwürfe gegen mich bedienen." Webermeister Müller hatte sein Ehrenamt im Auftrage der Oelsnitzer Stadtverwaltung ausgeübt, und die Unbill, die er dabei erleiden musste, war keineswegs neu. Zunächst war es für die Stadt Oelsnitz wie für das gesamte Kurfürstentum Sachsen ein bedeutender Fortschritt, als 1769 eine kurfürstliche Verfügung die Kommunen verpflichtete, die Schulgelder nicht durch die Lehrer, sondern durch extra bestellte Beamte der Städte und Gemeinden einzutreiben. Die Lehrer waren somit dieser entehrenden Pflicht als Bittsteller enthoben, und die Kommunen wurden gegenüber den Schulen in größere Verantwortung genommen. Für den Schulgeldeinnehmer, der außerhalb der Schule stand, war diese Aufgabe freilich nicht leichter geworden. Das Einkommen der meisten Eltern lag oft unter dem Existenzminimum, und jeder Pfennig wurde für den kärglichen Lebensunterhalt der Familie gebraucht. Da war das Schulgeld für vier, fünf oder gar sechs Kinder schon ein Betrag, der sich als Belastung im Familienbudget niederschlug. Dazu kam aber noch etwas: Viele Eltern sahen den Sinn der Schulbildung für ihre Kinder gar nicht ein. Die Leistungen, zu denen die Volksschule im Lesen, Schreiben und Rechnen befähigte, hielten sich in bescheidenen Grenzen, und auch der umfangreiche religiöse Memorierstoff, mit dem die Schüler traktiert wurden, war für den täglichen Broterwerb keine Hilfe. Nicht wenige Eltern erachteten daher die Schulbildung ihrer Kinder als überflüssig und das dafür aufzubringende Schulgeld als Schikane. Der Schulgeldeinnehmer bekam das deutlich zu spüren, und ganz gewiss war nicht nur der Oelsnitzer Ratsbeamte Müller davon betroffen. Dennoch gab es in seinem Falle eine besondere Situation, die sein Amt noch stärker dem Volkszorn aussetzte. In der Stadt Oelsnitz betrug um 1800 das wöchentliche Schulgeld für jedes Kind sechs Pfennige. Dieses Geld war ein wichtiger Bestandteil der Lehrerbesoldung. Es ging aber immer nur sehr unregelmäßig ein, so dass die Lehrer oft nur einen Teil ihres bescheidenen Gehalts ausgezahlt bekamen. Auch gelegentliche Versuche von Eltern, die sich von Land- und Viehwirtschaft ernährten, das fehlende Bargeld durch Eier, Milch, Fleisch oder Getreide zu begleichen, bedeuteten auf Dauer keine Hilfe für die Lehrer. Als nach der Jahrhundertwende die Oelsnitzer Baumwollbearbeitung in die Krise geriet und viele Arbeiter brotlos wurden, gingen die Schulgelder noch spärlicher ein. Die Lehrer gerieten in höchste Not, die durch die allgemeine Teuerungswelle noch verschärft wurde. Sie wandten sich deshalb am 12. Oktober 1804 "untertänigst" an Kurfürst Friedrich August III., ihnen "eine mildreichste Unterstützung zufließen zu lassen". Der Kurfürst reagierte freilich anders, als die Lehrer erhofft hatten. Er ließ über die oberste Schulbehörde die Oelsnitzer Stadtväter auffordern, die Lehrergehälter zu erhöhen, was in erster Linie über die Anhebung des Schulgeldes erfolgen sollte. Der Oelsnitzer Stadtrat kam diesem Befehl nach, indem er das wöchentliche Schulgeld am 14. Dezember 1804 von sechs auf neun Pfennige erhöhte. Diese Maßnahme musste ihr Ziel verfehlen, denn sie führte zu einer noch höheren Verschuldung der Eltern beim Schulgeldeinnehmer und einem weiteren Anstieg des Gehaltsdefizits bei den Lehrern. 1807 konnte der Oelsnitzer Mädchenschullehrer Johann Traugott Tanzer Gehaltsrückstände von 74 Talern und vier Groschen nachweisen, wobei 70 Taler auf ausstehende Schulgelder zurückzuführen waren. Webermeister Müller war in seinem Ehrenamt gescheitert, und er hatte sich seinen Rücktritt bestimmt reichlich überlegt. Die Stadt Oelsnitz hatte dennoch sehr schnell einen Nachfolger bestimmt. Bereits am 28. Januar 1806 trat Schuhmachermeister Christian Gottlob Tanzer sein Amt an. Offenbar hatte er ein stärkeres Nervenkostüm, denn er übte es bis 1830 aus.